Auf 40 Beinen rund um Aschaffenburg

Was hat die Deutsche Bahn mit Przewalskipferden zu tun? Wofür stehen die drei überdimensionierten Kreuze auf dem „Berg“ mit dem wohl schönsten Ausblick auf Aschaffenburg? Warum steht mitten im Obernauer Wald eine Kapelle? Und: Woher kommt plötzlich der Hund, der vor dem Hotel auf die 18 Wanderer wartet, die sich vorgenommen haben, einen Abschnitt des erst wenige Tage zuvor eröffneten „Aschaffenburger Rundwanderweg“ unter die Füße zu nehmen?

Letztere Frage ist schnell beantwortet: Schnucki reicht es einfach nicht, immer nur auf sein Herrchen Ralph Schetter aufzupassen. Als Bordercolli-Mix braucht er mal wieder eine richtige Herde, auf die er aufpassen kann, schließlich ist er ein Hütehund.

Noch überlässt er das Sagen Michael Seiterle, der nicht nur Mitarbeiter beim Tourismusverband Spessart Mainland e.V. ist, sondern auch ein zertifizierter Wanderführer. Rund 13 Kilometer des insgesamt 68 Kilometer langen Rundweges werden wir an diesem Tag laufen, erklärt er uns im Bus, der die Gruppe zum Ausgangspunkt der Tour im Ortsteil Schweinheim bringt. Dort übernimmt Schnucki das Kommando, passt auf, dass keiner zurückbleibt und die Herde immer schön dicht beieinander steht, wenn Michael was erklärt.

Zum Beispiel die Sache mit der Bahn und den Mongolischen Wildpferden. In freier Wildbahn seit 1969 ausgestorben, haben hier in Aschaffenburg einige von ihnen das Paradies auf Erden gefunden – dank der Deutschen Bahn. Die nämlich finanzierte die Renaturierung einer großen Fläche des ehemaligen militärischen Standortübungsplatzes Aschaffenburg als Kompensationsmaßnahme für den Flächenverlust beim Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hanau und Nantenbach. 300 Hektar verwandelten sich so von einem militärischen Übungsplatz in ein Naturparadies für Flora und Fauna. Auf einem Teil davon leben nun Przewalskipferde, Heckrinder und Wildschafe, die die Flächen von Wildwuchs freihalten und somit dafür sorgen, dass sich andere seltene Tiere und Pflanzen hier wieder ansiedeln. Ein 3,4 Kilometer langer Erlebnispfad mit zahlreichen Infotafeln und Aussichtspunkten führt rund um das Gelände.

Przewalskipferde

Den lassen wir links liegen und folgen Schnucki und Michael über Streuobstwiesen hinein in den Obernauer Wald – 270 Hektar groß und bis zum Mittelalter ausschließlich mit Buchen, Eichen, Hainbuchen und Linden bewachsen. Seit dem 18. Jahrhundert wurden aber zunehmend Kiefern angepflanzt. Ab 1790 verlieh der Erzbischof von Mainz sogar eine Medaille an Leute, die das schnell wachsende und anspruchslose „Dannenholz“, wie man die Kiefer auch bezeichnet, anbaute. Heute hat man sich zum Glück eines Besseren besonnen und pflanzte in den vergangenen 30 Jahren Hunderttausende Laubbäume an.

Schnucki treibt seine Herde durch den sonnigen Mischwald, bis Michael ihn an einer Kapelle, die mittendrin an einer Kreuzung von sieben darauf zuführenden Wegen steht. Ihr soll, so Michael, ein gruseliges Geheimnis innewohnen. „Maria Frieden“ heißt sie, doch wenn man der Legende glaubt, ging es einst hier ganz und gar nicht friedlich zu. Ein Mann soll an der Stelle, wo 1712 die Kapelle erbaut wurde, seinen Nachbarn mit einer Sense gemeuchelt haben. Später, von Reue geplagt, wollte er sein Gewissen mit dem Bau der Kapelle beruhigen. Ganz ist das wohl nicht gelungen, denn noch heute soll ab und an das Dengeln der Sense zu hören sein.

Kapelle Maria Frieden

Wir hören nichts, außer ein energisches Bellen von Schnucki, der uns mal wieder zusammenruft, diesmal für ein Gruppenfoto. Danach geht es weiter, vorbei an der Mariengrotte aus dem Jahr 1886, hinein in den Aschaffenburger Ortsteil Oberau, wo dem Lied nach der Himmel blau ist.

Mariengrotte nahe Obernau

Ist er dort auch noch, doch als wir ein paar Minuten später den jüdischen Friedhof erreichen, der zwischen dem 15. Jahrhundert und 1942 die Begräbnisstätte der Juden im Untermaingebiet war, fängt es an zu regnen. 

jüdischer Friedhof

Schade, denn so müssen wir einfach glauben, dass man vom 256 Meter hohen Sternberg aus den schönsten Blick auf Aschaffenburg hat. Dort angekommen, nimmt der Regen jede Sicht in die Ferne, einzig die drei überdimensionierten Kreuze auf dem „Berg“ sind trotz grauer Suppe nicht zu übersehen.

Die drei Kreuze auf dem Sternberg

Seit 1948 stehen sie dort, der Gesellschaftsklub „Fidel“ hat sie als sichtbares Zeichen für die damals so populären Passionsspielen im Spessart aufstellen lassen, obwohl diese niemals auf dem Sternberg stattfanden, sondern unten in Schweinheim.

Steil hinaus in den Weinberg

Die Herde wieder heil hinunter vom Berg zu bringen, erfordert von Schnucki volle Aufmerksamkeit. Der Weg ist steil und glitschig, lohnt aber jeden Schritt, denn vom Tal her lacht die Sonne bereits wieder. Noch einen Abstecher zum Ludwigstempel, von wo aus wir wirklich einen tollen Blick ins nun sonnige Aschaffenburg haben. Von dort sind es nur noch etwa zwei Kilometer entlang des Mains bis zum „Wilden Mann“, wo ein Mittagessen auf uns wartet. Hund und Herde gut gestärkt führt uns Peter Gemeinhardt, der Betreiber des 500 Jahre alten Gasthofs, in seinen Weinberg auf der anderen Straßenseite. Nur Schnucki hat noch Muse, den steilen Aufstieg im Eiltempo zurückzulegen, alle anderen lassen es langsam angehen. Jeder Schritt macht sich in den Oberschenkeln bemerkbar. Der Winzer, der den Terrassenweinberg mit seinen 1000 Rebstöcken, der als einer der steilsten in Franken gilt, bewirtschaftet, ist wahrlich nicht zu beneiden.

Gastwirt Peter Gemeinhardt füllt die Gläser in seinem Weinberg

Als Lohn für den Aufstieg füllt der Wirt die Gläser reichlich, und so manch einer denkt dabei schon mit Bangen an den Abstieg. Doch zum Glück gibt es einen „Hinterausgang“ ohne Treppen, durch den wir uns nach wenigen Schritten mitten in der Altstadt wiederfinden.

Schnucki muss nun an die Leine und findet das gar nicht so toll, hätte er doch gerade jetzt gut zu tun, die inzwischen ziemlich fußlahme Herde zusammenzuhalten. Noch steht ein Besuch im Gentilhaus an, dem Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Industriellen und leidenschaftlichem Kunstsammler Anton Gentil für seine Kunstsammlung erbauten Hauses.

Am Ende haben die Wanderer rund 15 Kilometer in den Beinen, allein die vier von Schnucki machen noch immer einen putzmunteren Eindruck. Er lässt seine Herde am Ziel nur sehr ungern zurück, denn das Schönste für ihn war wohl, dass er an dem Tag von 36 Händen Streicheleinheiten satt bekam.

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